Grünig Wundmanagement
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Dekubitus: Ursachen, Prävention und BehandlungPositionierungshilfsmittel sind zum Beispiel Positionierungskissen oder Keile.

Dekubitus, auch Druckgeschwür oder Wund liegen genannt, ist eine schwerwiegende Komplikation, die vor allem bei immobilen Patienten auftritt. Ich möchte für Sie die Ursachen, Präventionsmaßnahmen und Behandlungsstrategien bei Patienten mit einem Dekubitus erläutern.

Definition

„Ein Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunter liegenden Gewebes, in der Regel über knöchernen Vorsprüngen infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit ScherkräftenEs gibt eine Reihe weiterer Faktoren, welche tatsächlich oder mutmaßlich mit Dekubitus assoziiert sind; deren Bedeutung ist aber noch zu klären."

Definition lt. EPUAP 2014


Ursache

Ein Dekubitus entsteht also durch anhaltenden Druck auf bestimmte Körperstellen, der die Blutzirkulation einschränkt und zu Gewebeschäden führt. Die Prädilektionsstellen variieren je nach Körperposition. Im Liegen in Rückenlage sind das Kreuzbein und Fersen besonders gefährdet. Im Sitzen sind es die Sitzbeinhöcker. An konvexen knöchernen Vorsprüngen ist die Druckbelastung also besonders hoch. Hier drückt der Knochen in das darunterliegende Muskel- oder Fettgewebe. Dadurch wird dieses Gebiet nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Zellen gehen unter. Stoffwechselprodukte können nicht mehr abtransportiert werden und das Gewebe übersäuert. 

Zudem treten durch das Einsinken des Knochenvorsprungs in das darunterliegende Gewebe Scherkräfte auf. Dies führt über die Zeit zu einer Deformation der Zellen und zu ihrem Untergang.

Es gibt weitere Faktoren, die sich auf die Entstehung eines Dekubitus auswirken. Hier sind besonders die Faktoren Feuchtigkeit und das Mikroklima zu erwähnen. 

Durch anhaltende Feuchtigkeit mazeriert die Haut. Die Barrierefunktion der Haut ist eingeschränkt und die Haut ist weniger belastbar. Vermehrte Feuchtigkeit auf der Haut verkürzt den Faktor Zeit bei der Dekubitusentstehung.

Das Mikroklima der Haut wird durch die Temperatur, die Feuchtigkeit und die Luftströmung in der unmittelbaren Nähe der Hautoberfläche gebildet.

Ein schlechtes Mikroklima verkürzt den Faktor Zeit bei der Dekubitusentstehung. 

Sie können das Mikroklima positiv beeinflussen. Ein wichtiger Faktor ist hierbei eine adäquate Inkontinenzversorgung sowie eine hochwertige Matratze. Negative Auswirkungen auf das Mikroklima haben Doppelversorgung mit Inkontinenzmaterial, synthetische Kleidung und schlechte Matratzen. 

Dekubitusentstehung

Bei der Entstehung eines Dekubitus werden drei unterschiedliche Modelle zugrunde gelegt. 


Die Entstehung von innen nach außen

Hierbei handelt es sich um den bereits beschriebenen Entstehungsmechanismus über konvexen knöchernen Vorsprüngen. Die Schädigung des Gewebes beginnt zunächst in der Tiefe und breitet sich dann weiter zur Oberfläche aus.


Die Entstehung von außen nach innen

Das zweite Modell bezieht sich auf die Entstehung eines Dekubitus, der zunächst oberflächlich entsteht und sich über die Zeit in tiefere Gewebeschichten vorarbeitet. Dies kann zum Beispiel in der Umgebung von medizinischen Sonden oder Kathetern passieren. Auch Falten in der Kleidung des Patienten oder Fremdkörper im Bett können zur Entstehung eines Dekubitus führen. 


Das Mitte - Modell nach Kottner

Hierbei trifft keiner der anderen Entstehungsmechanismen zu. Die Schädigung entsteht zwischen der Haut und den tiefen Gewebeschichten. Es soll die Komplexität der Dekubitusentstehung hervorheben. Besonders bei der Dekubitusentstehung an der Ferse trifft das Mitte - Modell zu.


Die 6 Kategorien des Dekubitus


Kategorie I

Nicht wegdrückbare Hautrötung. Die Haut ist von außen betrachtet vollständig intakt. Die betroffene Stelle zeigt eine deutliche Rötung auf. In einigen Fällen ist das Gewebe auch überwärmt oder verhärtet. Zur genaueren Diagnostik einer geröteten Hautstelle wird nun ein Fingerdrucktest durchgeführt. Hierfür übt man für 3 Sekunden moderaten Druck mit dem Finger auf die gerötete Stelle aus. Bei intakter Haut wird die Haut an der Stelle heller, da das Blut aus den Gefäßen gedrückt wird. Wird der Finger weggenommen, wird das Gewebe langsam wieder rot. Bei einem Dekubitus der Kategorie I bleibt die Haut auch bei Druck weiterhin gerötet. Der Grund hierfür ist ein entzündlicher Prozess, welcher im Inneren stattfindet. 


Kategorie II

Hier besteht ein Teilverlust der Haut. Der Hautdefekt ist oberflächig. Oberhaut und Lederhaut sind betroffen. Hier ist die Differenzialdiagnostik wichtig. Häufig wird ein Dekubitus der Kategorie II mit einer IAD, Intertrigo oder Skin Tear verwechselt.


Kategorie III 

Bei einem Dekubitus der Kategorie III besteht eine Beteiligung aller drei Hautschichten. Je nach Körperregion kann dies in unterschiedlichen Tiefen erreicht sein. An Körperstellen mit einem höheren Fettgebeabteil kann die Tiefe mehrere Zentimeter betragen. Zum Beispiel über dem großen Rollhügel (Trochanter Major). An Stellen, wie etwa dem Nasenrücken, nur wenige Millimeter. Am Nasenrücken entstehen Dekubitus häufig durch nicht invasive Beatmungsmasken. 

Bei einem Dekubitus der dritten Kategorie kann es zu Nekrosen, Fibrinbelägen, sowie Unterminierungen und Taschenbildung kommen. 


Kategorie IV

Hierbei handelt es sich um einen Dekubitus, der neben der Beteiligung aller Hautschichten zusätzlich freiliegendes Muskeln, Sehnen oder Knochen aufweist. Hier besteht durch die Beteiligung des Knochens die Gefahr einer Knochenmarksentzündung (Osteomyelitis). Auch bei einem Dekubitus der Kategorie IV können Nekrosen, Fibrinbeläge, Untermination, und Taschenbildung auftreten. Häufig leiden die Patienten unter starken Wundgeruch. 

 

Vermutete tiefe Gewebeschädigung

Bei dieser Kategorie ist die Oberhaut intakt. Jedoch ist eine dunkelrote, violette oder livide Hautverfärbung erkennbar. Das betreffende Hautareal ist oft schmerzhaft. Das Gewebe ist überwärmt und fühlt sich bei einigen Patienten schwammig an. Auch blutgefüllte Blasen können auftreten. Eine Tiefe der Gewebeschädigung ist nicht erkennbar. 


Nicht erkennbare Wundtiefe


Der Blick auf den Wundgrund und die Wundtiefe ist nicht erkennbar. Dieser kann durch Nekrosen oder Fibrin verdeckt sein. Eine genaue Festlegung erfolgt erst nach Entfernung der Beläge. 


Prädilektionsstellen


Als Prädilektionsstellen werden Körperstellen bezeichnet, die charakteristisch für bestimmte Krankheitsbilder sind. 

Diese Prädilektionsstelle gibt es auch für den Dekubitus. Grundsätzlich sind dies Stellen, an denen es konvexe (vorgewölbte) knöcherne Vorsprünge gibt. Die Prädilektionsstellen variieren nach Positionierung des Körpers.


Rückenlage

Die größte Prädilektionsstelle ist hier das Kreuzbein bzw. der Sakralbereich. Häufig wird ein hier entstandener Dekubitus als Dekubitus am Steiß bezeichnet. Diese Bezeichnung ist formal falsch. Das Steißbein ist nach innen abgewinkelt. Deshalb besteht dort kein konvexer Knochenvorsprung. 

Weitere Prädilektionsstellen sind die Dornfortsätze der Wirbelsäule. Besonders gefährdet sind hier Patienten mit degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule, wie zum Beispiel einer Hyperkyphose (Rundrücken oder Witwenbuckel).

Auch an den Fersen sind bei liegenden Patienten häufig Druckgeschwüre festzustellen. 


Seitenlage

In dieser Position ist der Trochanter Major sehr stark Dekubitus gefährdet. Weitere Prädilektionsstellen sind die Knöchel und die Knie. Sowohl lateral aus auch medial (außen- innenliegend) Dies liegt zum Einen am Kontakt zur Matratze. Zum Anderen am Kontakt zum Knöchel / Knie des anderen Beines. Weiterhin ist auch die Schulter ein Risikobereich. 


Sitzposition

Im Sitzen sind die Sitzbeinhöcker mit besonders viel Druck belastet. Je nach Sitzposition können auch die Dornfortsätze der Wirbelsäule gefährdet sein. Bei Patienten, die im Rollstuhl sitzen, muss zudem besonders auf die Positionierung der Füße auf den Fußstützen geachtet werden. Andernfalls kann es hier zu Druckgeschwüren im Bereich der Knöchel oder der Ferse kommen.


Dekubitusprophylaxe 

Das Beste, was wir als Pflegende tun können, ist dafür zu sorgen, dass ein Dekubitus gar nicht erst entsteht. Den größten Stellenwert hat hier die Mobilisation des Patienten. Ein Patient, der eigenständig seine Position verändern kann, hat ein deutlich geringeres Risiko einen Dekubitus zu bekommen. 

Jedoch ist ein solcher Zustand nicht für jeden Patienten zu erreichen. Dennoch hat auch bei Patienten, welche sich nicht vollständig umpositionieren können, die Anregung zu Bewegung im Rahmen der eigenen Möglichkeiten große Vorteile. Zum Beispiel können sich die Positionierungsintervalle erhöhen. 

Kann ein Patient sich nicht ausreichend druckentlasten, ist eine regelmäßige Umpositionierung anzuraten. Ich verwende hier bewusst nicht den Begriff "Lagerung". Lagern beschreibt die Verwahrung von Gegenständen und sollte nicht für Menschen verwendet werden, da dies als sehr geringschätzend aufgefasst werden kann. Der Positionierungsintervall ist in individuellen Zeitabständen zu wählen. Bei vielen Patienten ist eine Positionierung im zweistündigen Abstand nicht notwendig. Der zweistündige Intervall kann jedoch als Ausgangspunkt verwendet werden, um den individuellen Rhythmus für den Patienten zu finden.    

    

Hilfsmittel

Es gibt unterschiedliche Arten von Hilfsmitteln, welche die Entstehung eines Dekubitus verhindern können. Hierfür gibt es vier Oberkategorien


Transferhilfsmittel

Unter Transferhilfsmittel sind sämtliche Hilfsmittel zu verstehen, welche den Transfer eines Patienten von einer Position in eine andere Position unterstützen. Ihre Hauptaufgabe dient der Vermeidung von Scherkräften bei Transfers und Positionierungen. Dies kann zum Beispiel der Bettaufrichter (Bettgalgen) sein, der dem Patienten und der Pflegekraft hilft, einen Transfer in den oberen Teil des Bettes durchzuführen. Es gibt Transferhilfsmittel, die beim Transfer unterstützen. Beispiele dafür sind Aufstehlifter oder Drehscheiben. Andere Hilfsmittel übernehmen den Transfer vollständig, wie etwa Hängelifter.

Die Verwendung von Transferhilfsmitteln bringt viele Vorteile mit sich, die über das Vermeiden von Scherkräften hinausgehen. Sie können dem Patienten Sicherheit vermitteln. Die vorhandenen Ressourcen des Patienten können genutzt und verstärkt werden. Es entlastet die Pflegekräfte. Die Auswahl des richtigen Transferhilfsmittels für den richtigen Patienten ist essenziell. Lassen sie sich hier von ihrem zuständigen Sanitätshaus beraten. 


Hilfsmittel zur Druckverteilung

Als Hilfsmittel zur Druckverteilung werden Hilfsmittel verstanden, bei denen der Druck von einzelnen Punkten auf größere Flächen verteilt wird. Dieses Prinzip findet sich zum Bespiel bei Weichlagerungshilfsmitteln. Hier sinkt der Patient tief ein. Dadurch wird eine größere Auflagefläche geschaffen. Dies sorgt für eine bessere Druckverteilung. Wenn ein Patient ein solches Hilfsmittel verwendet, ist dennoch eine regelmäßiger Positionswechsel erforderlich.

Kontraindikationen und Nebenwirkungen:

Durch das tiefe Einsinken verlieren Patienten häufig die Wahrnehmung der Körpergrenze. Dies kann zu Unruhezuständen führen, da sich die Patienten vermehrt Bewegen, um die Körpergrenzen wieder spüren können. Zudem erschwert das tiefe Einsinken die Eigenbewegung des Patienten und vorhandene Ressourcen können eventuell nicht mehr richtig genutzt werden.  


Hilfsmittel zu Druckentlastung


Hier ist das Ziel, Körperbereiche vollständig von Druck zu befreien. Angewendet wird dieses Prinzip zum Beispiel bei Wechseldruckmatratzen. Diese bestehen aus luftgefüllten Kammern. Diese werden in regelmäßigen Abständen unterschiedlich mit Luft gefüllt. So wird eine kontinuierliche Be- und Entlastung erreicht. Bei Patienten, welche eine Wechseldruckmatratze verwenden, ist eine regelmäßige Umpositionierung zur Dekubitusprophylaxe weiterhin erforderlich. Wichtig ist die Kontrolle des eingestellten Gewichts. Dies muss zum Patienten passen, da die Matratze sonst keine ausreichende Wirkung hat, oder das Dekubitusrisiko sogar erhöht wird. 

Kontraindikationen und Nebenwirkungen:

Patienten mit Spastiken, Patienten mit Knochenmetastasen, desorientierte Patienten.

Durch die Bewegung der Matratze kann es zu einer Erhöhung des Muskeltonus kommen. Dies führt zu einer Verschlimmerung der Spastiken. 

Bei Knochenmetastasen kann es durch den punktuell erhöhten Druck zu Frakturen kommen. 

Desorientierte Patienten können vermehrte Unruhe entwickeln, durch die Bewegung der Matratze. 


Positionierungshilfsmittel

Durch die Verwendung von Positionierungshilfsmitteln kann, je nach Anwendung, sowohl eine Druckverteilung, als auch eine Druckentlastung stattfinden. 

Eine Möglichkeit der Druckverteilung ist die Positionierung auf 30°. Hier wird der Druck auf den großen Gesäß- und den Oberschenkelmuskel verlagert. Der Sakralbereich und der Trochanter Major sind deutlich druckentlastet. Eine vollständige Druckentlastung kann zum Beispiel durch eine Positionierung auf 135°, oder eine freie Positionierung der Ferse erfolgen. 


Verordnungsfähigkeit von Hilfsmitteln


Hilfsmittel aller oben aufgeführten Kategorien sind zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Das gilt auch für Positionierungshilfsmittel!

Das bei einem Patienten erst ein Dekubitus entstanden sein muss, um Anspruch auf die Hilfsmittelverordnung zu haben, ist ein Mythos, der sich leider sehr hartnäckig hält. Laut SGB V §33 besteht ein Anspruch auf Hilfsmittel, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen. Demnach besteht also ein gesetzlicher Anspruch auf eine Hilfsmittelversorgung zur Prophylaxe, wenn getroffene Maßnahmen nicht ausreichend sind und weiterhin die Gefahr eines Dekubitus besteht.

Ein weiterer Mythos ist, das einige Hilfsmittel erst bei einem bestimmten Schweregrad des Dekubitus zum Einsatz kommen dürfen. Auch diese Aussage ist falsch. Die Auswahl des Hilfsmittels muss individuell zum Patienten erfolgen. Der Schweregrad des Dekubitus ist hierbei nicht maßgeblich, sondern die Vielfalt der vorliegenden Risikofaktoren.


Therapie bei bestehendem Dekubitus

Das oberste Gebot bei der Therapie von Druckgeschwüren ist die konsequente und vollständige Druckentlastung des betroffenen Bereiches. Nur dann ist eine Heilung möglich. 

Je nach Schweregrad erfolgt eine phasengerechte Wundversorgung. Bei besonders ausgeprägten Formen kann ein chirurgisches Débridement mit einer anschließenden Niederdrucktherapie sinnvoll sein.